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Jeremias Caprez & Hans Riesch

  

 

 

 

Trinser Alpsagen aus Mythologische Landeskunde von Arnold Büchli

(ausschliesslich Alpsagen)

Alpsagen aus TRIN

aus „Mythologische Landeskunde von Graubünden“ von Amold Büchli

(ausschliesslich Alpsagen ausgewählt)

 

Es war ein kalter vierter Februar (1939), als ich zum erstenmal in Trins aus dem Postauto stieg und der Spur nach im nächsten Konsumladen meine Frage anbrachte, wer hier etwa alte Geschichten wüsste. Und gleich wurde mir der richtige Bescheid zuteil. Ein paar Haustüren weiter, und ich trat bei der leidenden Nachbarin Nina Riesch ein. Sie sass, obwohl stark behindert, neben einer jungen Helferin am Tisch, über deren Handarbeiten gebeugt. Mit vierundzwanzig Jahren war sie auf einer Reise nach Turin von den ersten Anzeichen einer sich allmählich ausbreitenden Lähmung befallen worden, die bei jungen Bündnerinnen mehrfach aufgetreten ist. Würdig hat sie, wie ihre Leute rühmten, die schwere Krankheit ertragen, nie geklagt, ja sogar bis zuletzt ihren Humor behalten und damit noch 1960 bei einem letzten Besuch den Herausgeber in Erstaunen, ja Bewunderung versetzt. Aber sie hat auch das große Glück gehabt, daß ihre Anverwandten die kranke Schwester, Tante und Base bei sich behielten und sich in die äusserst mühevolle Pflege mit vorbildlicher Aufopferung teilten. Lebhaften Geistes nahm sie mein Anliegen gut auf und fing an zu erzählen, von Vater und Großvater Gehörtes.

Ich wollte sie als eine besonders eigenartige, altes Gedankengut führende Familientradition in der Mundart des Hauses vernehmen und aufzeichnen. Hans Riesch hat sie dann deutsch erzählt, ohne zu wissen, daß ich sie schon kannte. Ich habe sie im Oktober I960 der Familie ihres Neffen Albert Riesch mitgeteilt und dabei mit Genugtuung erfahren, dass Trins an seinem altromanischen Idiom bewußt festhält und sich vom gedruckten Romanisch nicht beirren und beeinflussen läßt, so wie es ganz für sich steht zwischen Weltkurort und Walserdorf.

 

 

 

La musca dubiusa

Igna gada é meu bab cun ign cumarat da la madema vegliadegna mo beca da las mademas idaias - els èeran ong fetg giuvens — eus a spass anccntar Porclis, da gi. A lu scha (h)a igl cumarat getg agl bab: el sappi fâ, ca la pli bealla vacca si Raschagliüs vommi a la malura. Igl bab (h)a getg: «Qué sas ti beca fâ.» A lu (h)a tschel getg: «Bien!» El schagi cu si quella crappadoira én dies. Mo igl bab stoppi amparmetter ad el da beca tuccâ én el, antrocca el lèeavi si sez. Ad igl bab (h)a amparmess qué ad (h)a taneu plaid par vurdâ, scha qué segi la vardad ne bec. A lu scha é igl cumarat schascheu en dies, a lu é igna musca vagnida òo da séa (séja) bucca ad é sgulada ansi ancuntar Raschagliûs. A lu suentar igna urealla é la musca sgulada anavos ad é turnada a qué mat puspe en bucca, ella gûla, ad igl bab vèeva beca tuccau en el. A lu é que mat puspé lavau si, suenter ca la musca segi turnada anavos tiar el. Quella musca èera sea (séja) olma. A l’auter gi é’gl vagneu las noovas ca la pli bealla vacca segi ruglada (ruclada) si Raschagliûs - davos igl Crap da Flem.

Suentar, pi tard, é igl bab stau bèears onns sez si d'alp, a cur ch'el vazzèeva (vasèeva) igna tala musca dubiusa, (h)a el adigna getg: «Deus partgiri meu muvel!» A sch’ign metta igl muvel en mong da' Deus, scha (h)a igl schliet beca pli pussonza sur el.

 

Von Nina Riesch wiederholt am 14.Oktober 1960 mit dem ausdrücklichen Zusatz: «Quella musca èera séja olma.» (Diese Fliege war seine Seele.) «Diese Geschichte hat Vater nur uns erzählt» («uns»: den Kindern Hans und Nina).

Durchgesprochen am 21. Oktober 1960 und am 4. August 1964 mit Albert und Olga Riesch, dem Neffen und der Nichte von Nina Riesch in Trin. Zweifelhafte Schreibungen: ong (on); la pli (pi) bealla (beaglia) vacca; urealla (ureaglia); séa (séja), das é stets nahe bei i; bealla (bealla, beallja, ureallja): Il mit gerollter Zungenspitze gesprochen, wie der Oberaargauer tut.

Diese Fliege war seine Seele: Die Fliege gilt nicht nur als Erscheinungsform von Teufel und Hexe, sondern als Seelenepiphanie überhaupt, und zwar kann die Seele bei Lebzeiten den Körper in Fliegengestalt verlassen. In Bern belauschte ein Bauer in der Gestalt einer Fliege an der Wand die Verhandlungen der Landsassechammer, um zu hören, wer für ihn und wer gegen ihn spreche. Ein junger Mann von Grabs, der in holländische Dienste getreten war, wurde von einer Fliege gestochen und starb. Die von ihm zu Hause verlassene Geliebte, eine Hexe, hatte sich in eine Fliege verwandelt, um ihn zu töten. Die Fliegen galten schon im Altertum wie die Mäuse als Träger von Krankheiten. In Ekron, einer Stadt der Philister, wurde dem Baal-Sebub, dem “Herrn der Fliegen”, geopfert, einer angesehenen Gottheit, die auch der König Ahasja von Israel in seiner Krankheit um ein Orakel anging. Dieser Gott-Dämon war bis auf die Zeit Christi über Philistäas Grenzen hinaus so berühmt, daß er zuletzt als Oberhaupt der Dämonen betrachtet wurde, dessen Name (in der Form Beelzebub oder Beelzebul) auch im Abendland neben den des Teufels trat.

 

 

Igl spiagal digl pader

Si Raschagliûs sto esser vagneu igna stad angulau pischèeada. Igls purs da Trign savèevan beca, tge gî da que. Lu (h)a anzatgi dau ad els igl cussegl: «Mée giu Tumégn! Lu stat ign pader, a quel stuées dumandâ. El sa saghir gidâ vus.» Péea, als en i giu Tumégn tigl pader. Lez (h)a schau vagnî en els ad (h)a getg: «Mo scha mée sasée giu! A stuées vurdâ en qué spiagal, aber aschchées gî bec ign plaid.» Igl pader arva ign cudisch, anvida duas candéelas a gi lu dabass mée ign péer plaids. Igls dus umens vardan a vardan egl spiagal a gin bec ign plaid. Lu (h)an eis tuttenigna veu igl tschalée da Raschagliûs. Suenter ign ping mumen vèzan els ign um, ign pur. El va vitiar, arva igl esch-tschalée cun igna clav fatga sez a va viaden tschalée. A lu scha sasarva igl esch-tschalée, a si (sin) la sava stat puspé que pur cun ign termen sac sigl schavî. Cu el é puspé vagneu anòo, (h) aign da quels da Trign clumau: «0, qué é gèea mée ...!» Pienan é'l beca vagneu. Igl tschalée egl spiagal é svaneu, ad els (h)an beca saveu, tgi ch’igl lader èera. «Ussa sai-ju èea beca gidâ vus pli», (h)a igl pader getg, «uss’é tut vantscheu.»

Turnond a casa (h)a ign digls purs da Trign getg a gl'auter ca vèeva tschantschau avon igl spiagal: «Scha ti vessas tagneu téa gnaffa, lu savessan nus ussa, tgi gl’é stau, ti sgnaf!»

 

 

Auch dieser Text im Oktober 1960 und im August 1964 mit dem Neffen Albert und der Nichte Olga von Nina Riesch überprüft. Die Formen digls und gl’(auter) weichen den jüngeren, bequemeren ohne g. Wie rein sich der Trinser Ortsdialekt bis heute erhalten hat, wurde hörbar, als im Oktober 1960 eine Großnichte von Nina Riesch, die Sechstklässlerin Elsa, diese Geschichte in freiwilliger Klausur (in der Schlafstube) ungefähr im gleichen Wortlaut niederschrieb, und dann vorlas.

Pfarrer Dr. Hercli Bertogg, der damals in Trins amtete (merkwürdigerweise nicht die Schwester Nina), riet mir, auch Hans Riesch aufzusuchen. Und das war ein guter Rat. Denn der Bauer Riesch, ein großer Tierfreund, eine bei den Einheimischen und den Sommergästen beliebte Persönlichkeit, nahm meinen Besuch Ende Februar 1939 so entgegenkommend auf wie vorher seine Schwester Nina, die bloss nicht wollte, dass ihre Erzählungen im Dorf herumgeboten würden, und deshalb mein Wiederauftreten in Trins nicht gerne sah. Hans Riesch war auch ein herzensguter Bruder. Er hat seine durch Lähmung stark behinderte Schwester Tag und Nacht mit rührender Aufmerksamkeit gepflegt, bis er selber krank geworden ist. Beide haben zusammen ein Kind von Verwandten aufgezogen, dessen Anhänglichkeit den Pflegeeltern übers Grab hinaus dankbare Treue bewahrt.

 

« Er erzählte:

 

Die Fliege aus dem Mund

Emoal isch mi Vatter mit eme Khameraad ungefehr im gliche-n-Alter — si sind no ganz jung gsi - gege Porclis go spaziäre, am Tag. Doa het der Khameraad zum Vatter gseit, er khönn mache, dass di schöönscht Khua uf Raschagliüs z'’Grund gengi. Dr Vatter het gseit: «Das khascht du nid mache!» Denn het dr ander gseit: doch, er liggi doo bime khlîne Steibruch uf e Rugge, aber er, dr Vatter, müäss imm verspreche, inn nid aaz’rüäre. Und dr Vatter het’s au versproche und denn au ghaalte, um z’luäge, ob’s währ sei oder nid. Und denn isch dr Khameraad uf e Rugge ggleege, und dos ischt imm e Flüüge zum Hals, zum Muul, usse khoo und ischt uuf gfloge gege Raschagliûs. Und denn nach ere Stund zirkha isch dia Flüüge wider zrugg khoo und dem Purscht wider in Hals, in ds Muul. Und dr Vatter het e nid aagrüärt gha. Und denn isch der Purscht wider uufgstande. Und am andere Tag isch dr Bbricht khoo, di schöönscht Khua dobne uf Raschagliüs hinderem Flimserstei sei ertroolet. Noheer, wo dr Vatter selber uf dr Alp gsi ischt, und er het so-n-e gspessigi Flüüge gseh, denn het er immer gseit: « Bhüätis Gott! Bhüäti Gott mis Vieh!» Wemmas unter Gottes Schutz stellt, denn het das Bööse nümme Macht über ds Vieh. Dr Vatter ischt 38 Jahr in dä-n-Alpä gsi. Ich bin 28 Jahr uf dr Alp gsi, aber i ha’s immer im voruus gwusst, dass mr e Meese verloore geit. Wenn miär am Tag vorher bim Zmittagkhoche so-n-e gspessigi Flüüge um e Khopf gfloge-n-ischt, denn han i bestimmt khönne seege: Am andere Tag verlüür ich e Meese.

 

Dr Schmaalztreeger

Uf dr Trinser Alp Mora sind viar Staofel. Dr Khellr ischt in Muletg, im mittlere Staafel. Jetz het’s emaol im Summer en Schnee ggän. Und denn ischt im Kheller unterdesse ibbroche und Butter gstole worda, Khees weer weniger wert gsi. Mä het d Fuässstapfä vom Schelm gseh bis zum Kheller, aber nid dervo weg. Jetz hend si nid gwusst, was für eina das khönnt gsi si. Doa het dr Vorstand, dr cussegl communal, gmeint, si wellend drei us em Vorstand ga Tamins oder ga Khur schigge zum Khapuziner, und diä sind denn abe für z’luäge, ob er khönn diä Sach uufkhläre. Er het gseit, er khönni das, aber si törfend denn nüüt rede wehrentdem. Jetz het er si in es tunggels Zimmer ina gfüärt und gseit, si khönnend in dem Spiägel luäge, wo an dr Wand ghanget ischt, aber joo nüüt rede, sus sei’s fertig. Jetz hend si doo fascht e Stund müässe warte, und ufeimääl khunnt dr Spiägel khlaar, und si hend di ganz Alp Mora drin gseh. D’Khellertür het sich uuftua, und der Mann mit am Ref uf em Rugge, silla catla la pischèeada (auf dem Reff die Butter) geit ruggwerts use. Dr Diäb isch nemli, so wît es Schnee gha het, ruggwerts in da glîchä Fuassstapfä wiä-n-er uufwerts ischt. Jetz het eine vom Vorstand halt nid khönne schwige und het gseit: «.A, vurdée co!» (Luäget doa!) Denn isch alls verschwunde gsi. Denn seit dr eint zu dem, wo ggredt gha het: «Ti es ign sgnaf! Du bischt en Lappi!» Und sitdem isch dem Betreffende der Übername bblibe und sinä Khinder au. Das Gschlecht ischt jetz aber uusgstorbe. Dr Khapuziner isch denn ine khoo und het gschumpfe mit nä: Es hetti imm khönne an ds Lebe gha. Dr Vorstand het eppe gwusst — nach dem Bild im Spiägel - wer dr Diäb gsi ischt, und si hend dem denn immer «dr Schmaalztreeger» gseit und da Khinder au. Aber mä het am nüüt khönne bewise. Dr Betreffend het au dr Übername «Heidogs» gha, wil er ufem Marggt uf dr Heid en Ogs gstole het, und dr Übername «Hennädreggler», wil er eme Nachbuur Hennedregg ggnoo het.

Der Senn Jeremias Caprez meinte, die Gemeindevertreter seien zu einem Geistlichen nach Ems gegangen.

 

Jeremias Caprez “Gieri Signun” (Senn” genannt geboren 1883 erzählte im Februar 1939 in Trins-Digg.

 

Mit Erde in den Schuhen geschworen

Trins und Flims stritten sich um einen Teil der Alp Barghis, um die Weide Tschanonca und den Heuberg Plenggis. Es gab einen Augenschein, und dabei hat ein kleines Männchen geschworen: «Ich stehe auf Trinser Boden!» Er sagte die Wahrheit, denn er hatte Erde aus seinem Garten in Trins in die Schuhe getan. Seither gehören diese Alpteile der Gemeinde Trins.

 Jeremias Caprez, geb. 1883